Freitag, 15. Dezember 2023

Wenn Handwerksunternehmer die Reißleine ziehen

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2023 haben 18.100 Unternehmen Insolvenz anmelden müssen. 2022 waren es 14.660. Den Grund sieht die Wirtschaftsauskunftei Creditreform in hohen Kostenbelastungen und der Rezession, die das Insolvenzgeschehen befeuert hätten. „Immer mehr Firmen brechen unter den Dauerbelastungen der hohen Energiepreise und der Zinswende zusammen“, sagt Patrik-­Ludwig Hantzsch, Leiter der Creditreform Wirtschaftsforschung. Bereits im Vorjahr habe der Insolvenztrend nach elf Jahren rückläufiger Zahlen gedreht. „Die Zahl der Insolvenzen wird bei diesen schwierigen wirtschaftlichen Rahmenbedingungen auch in den kommenden Monaten deutlich ansteigen“, so Hantzsch weiter. „Im Vergleich zu 2019 haben sich die Rahmenbedingungen für die Unternehmen signifikant verschlechtert und der wirtschaftspolitische Schlingerkurs verunsichert zusätzlich.“ Viele nun insolvente Unternehmen hätten jahrelang gegen multiple Krisen wie Corona, Inflation und Fachkräftemangel angekämpft.

Bei Großunternehmen mit mehr als 250 Mitarbeitern lagen die Fallzahlen um 50 % über dem Vorjahreswert. Bei Unternehmen mittlerer Größe mit 51 bis 250 Beschäftigten stiegen die Insolvenzen sogar um rund 76 %, bei kleinen Unternehmen mit bis zu 10 Beschäftigten um knapp 19 %. 2023 waren zudem mehr Arbeitnehmer von der Insolvenz betroffen. Schätzungsweise 205.000 Arbeitsplätze sind bedroht bzw. weggefallen (2022: 175.000).

Im Baugewerbe sei ein Anstieg um 20,8 % zu verzeichnen – mit verursacht durch hohe Zinsen, steigende Baukosten und einen Einbruch der Nachfrage. Und das ist noch nicht das Ende der Fahnenstange: Erkenntnissen von Creditreform zufolge, die das Unternehmen durch seine Insolvenzstudie erlangte, droht der Bauwirtschaft in Deutschland eine Krise. Aus Sicht von Kreditgebern und Lieferanten sei bereits in den letzten Monaten eine Verschlechterung der Zahlungsmoral im Baugewerbe zu beobachten. Debitoren zahlten ihre Rechnungen zunehmend mit Verzug. Die Kreditgeber der Bauwirtschaft mussten folglich länger auf ihr Geld warten. ­Hantzsch fasst zusammen: „Der Druck auf die Liquiditätslage der Bauunternehmen steigt unter den aktuellen Bedingungen immer mehr. Die Insolvenzzahlen im Sektor reagierten bereits. Besonders betroffen waren im Jahr 2023 Branchen wie beispielsweise Erschließung von Grundstücken und Bauträger, Straßenbau und Tiefbau. Weiter zunehmende Belastungen für das Baugewerbe dürften diesen Trend noch verstärken.“

Eine solche 'zunehmende Belastung', die nicht nur der prognostizierten Krise im Baugewerbe einen Schub geben wird, ist zweifelsohne die Bürokratie, unter der insbesondere Handwerksunternehmen ächzen, und zwar nicht nur im Baugewerbe. Sie bedeutet für viele inzwischen ein erhebliches Geschäftsrisiko, denn sie hat ein unerfüllbares Ausmaß erreicht. Und obwohl die aktuelle Bundesregierung bereits drei Bürokratieentlastungsgesetze (BEG) auf den Weg gebracht hat – BEG IV steht an –, kommen immer noch mehr neue Gesetze, Vorschriften, Berichtspflichten, Auflagen, Anträge und millimetergenaue Regelungsvorgaben hinzu als alte wegfallen. Entsprechend hoch ist der Frust in den Unternehmen; und zwischen Wut und Resignation denkt manch einer daran, seinen Betrieb aufzugeben – auch ohne Vorliegen einer Insolvenzlage.

Ein Bauunternehmen, das bereits kapitulierte, ist die Husumer Richard Hoff und Söhne GmbH & Co. KG, eine Firma für Straßen- und Tiefbau. Geschäftsführer sind bzw. waren Günter und Michael Hoff. Die Familien Hoff haben entschieden, ihren Betrieb für immer zu schließen. „Was die Bürokratie in unserem Betrieb verursacht und warum möglicherweise noch weitere Handwerksunternehmen schließen könnten“, schildern Hoffs wie folgt: „Nachdem wir die Datenschutzverordnung umgesetzt, die Geschäftsprozesse GoBD-konform installiert hatten, konnten wir Mitarbeiter einstellen, die wir über die ordnungsgemäße Dokumentation der Arbeitszeiten, das Mitführen der Ausweisdokumente und das Nutzungsverbot von Betriebsfahrzeugen für private Zwecke schriftlich unterwiesen. Weiter mussten wir den Auszubildenden schriftlich erklären, dass sie möglicherweise nicht am Ende der Ausbildung übernommen werden könnten. Wir erstellten eine Gefährdungsbeurteilung für den Betrieb und haben für die Mitarbeiter Sicherheitsunterweisungen gehalten und diese dokumentiert. Weiter mussten wir dann explizit darauf hinweisen, dass die MA sich bitte einen Hut bei Sonne aufsetzen sollten und sich mit Sonnenschutz eincremen mussten. Vorsorglich wurden Termine für ärztliche Untersuchungen angeboten und gebucht. Nun wurde noch schnell ein Ersthelfer, ein Maschinenbeauftragter, ein Datenschutzbeauftragter, eine Fachkraft für Arbeitssicherheit und ein Brandschutzbeauftragter ausgewählt, ausgebildet und bestellt. Weiter einige Mitarbeiter schriftlich als Baumaschinenführer eingewiesen, unterrichtet und natürlich schriftlich bestellt. Bevor wir dann mit unserer Arbeit anfangen konnten, meldeten wir noch schnell bei der GEMA unsere Telefonschleife an, meldeten bei der Künstlersozialkasse Leistungen für unser neues Firmenlogo, unterrichteten die LKW-Fahrer in Sachen Fahrpersonalverordnung und Sozialvorschriften zu den Lenk- und Ruhezeiten. Nicht vergessen: Fahrer von LKW mit Ausnahmegenehmigungen bitte alle 3 Monate über die entsprechenden Sonderregeln belehren und dokumentieren. Natürlich waren auch Fahrtenschreiber, sowie Fahrerkarten regelmäßig auszulesen und alles DSGVO-konform dauerhaft zu speichern und vorzuhalten.“ 

Dann war da noch die Sache mit den Ausnahmegenehmigungen nach § 70 Straßenverkehrs-Zulassungs-Ordnung (StVZO) für Kraftfahrzeuge und ihre Kombinationen, die hinsichtlich ihrer Maße (Länge, Höhe, Breite), Gewichte (Achslasten, Gesamtmassen), Ausrüstung oder in sonstiger Weise von den Vorschriften der StVZO abweichen. Für Fahrzeuge einer Firma im Straßen- und Tiefbau nicht ungewöhnlich. Dies habe ebenfalls auf Termin gelegt werden müssen, da sie jedes Jahr erneut beantragt werden sollte. „Ganz klar war nicht, was denn nun genau beantragt werden musste; da hatten Zulassungsstelle, LBV-SH [Landes­betrieb Straßenbau und Verkehr Schleswig-Holstein, Anmerk. der Red.], Polizei und BAG leider unterschiedliche Ansichten. Wir suchten uns einfach etwas aus, die Konsequenzen mussten wir ja so oder so tragen.Noch kurz entsprechend dem Kreislaufwirtschaftsgesetz den Transport von Ausbaustoffen bei der zuständigen Behörde angezeigt, alle Mülltonnen auf dem Hof fotografiert und für die Abfallverordnung die Wege vom Abfall des Betriebes aufgeschrieben. Oh nein, da hatten wir doch die Schulung über die Ladungssicherung vergessen; die BAG findet ja bekanntlich immer etwas, was man falsch gemacht hat. Entsprechendes Bußgeld natürlich inklusive.“ Doch der Wahnsinn ging noch weiter: + „Anmeldung und Eintragung beim Transparenzregister, FACTA-Selbstauskunftsmeldung und etliche Zertifikate und Fremdüberwachungsverträge abgeschlossen; denn der Qualifikation von Meistern und Ingenieuren konnte man ja nicht mehr trauen. Dann noch schnell die Normen für unsere Gewerke durchgearbeitet und die VOB studiert – wir wollten ja in unserem Vertrags- und Vergaberecht fit sein“ + „So konnten wir dann mal ein Angebot schreiben, denn wir wollten ja schließlich arbeiten und etwas für das Brutto­inlandsprodukt tun. Mist, wie war es jetzt noch mit der Umsatzsteuerumkehr nach §13b UStG? Das hatte sich ja fortlaufend geändert …“ + „Noch kurz auf die Schlichtungsverfahren, ­DSGVO und Aufbewahrungsfristen in den Dokumenten und der Homepage hingewiesen, denn das ist ja Pflicht“ + „Das Tariftreuegesetz galt es zu beachten und einzuhalten, auch für alle Subunternehmer, denn dafür hafteten wir ja auch“.

Das Statistische Landesamt habe „mal wieder“ nach Zahlen gefragt und mit Strafe gedroht, wenn keine gemeldet würden – „leider hatten wir es bis dato noch nicht geschafft in unserem operativen Geschäft tätig zu werden und einfach unserer handwerklichen Arbeit nachzugehen“. Doch dann ging es „ran an die Baustelle: Kurz noch die Kampfmittelfreigabe abgewartet (das LKA benötigt dafür nur 6 ­Monate), die Gefährdungsbeurteilung für die Baustelle erstellt, die Mitarbeiter unterwiesen, einen Verkehrszeichenplan erstellt und eine Verkehrsanordnung beantragt. Leider hatten wir vergessen, dass noch jemand zur RSA-Schulung musste. […] Dann die Schilder aufgestellt: Da war jedoch die neue RSA zwischenzeitlich erschienen; alle Baken und Schranken mussten leider neu, da es eine neue Norm für die Folierung gab. […] Vor dem Start waren noch Bodenproben nach LAGA und Ersatzbaustoffverordnung zu nehmen, denn der Boden auf dem unbebauten Acker hätte ja mit organischem Material (TOC) 'verseucht' gewesen sein können. Danach war dann leider keine Zeit mehr für unsere eigentliche Arbeit …“ Und da habe noch kein Gespräch mit dem Steuerberater stattgefunden; „aber das Steuerrecht ist sicherlich nicht so kompliziert: Lohnabrechnung auf dem Bau mit mehr als 20 Lohnarten pro Abrechnung, Spesenbescheinigungen, Hinweise auf innerbetriebliche Altersvorsorge und deren Pflichtteile“ habe der dann ja machen können.

Wäre es nicht so tragisch, hätte diese Abhandlung durchaus einen Unterhaltungswert; sie erinnert an die Erzählungen über die Schildbürger, die sich aus eigenem Antrieb von weisen Beratern zu närrischen Bauern entwickelten. Kennen Sie vielleicht. Wobei – bei der immer weiter überbordenden 'Herrschaft der Verwaltung' kann man den gesellschaftlichen Eigenantrieb zur Narretei getrost ausschließen, denn Ihnen und Ihren Handwerkskollegen geht es ähnlich.

Die Hoffs werden abschließend ernst: „Es läuft leider generell etwas sehr schief: Die Bürokratie ist für einen Handwerksbetrieb nicht mehr zu bewältigen; zumindest nicht, wenn man alle Gesetze, Verordnungen und Vorgaben berücksichtigen und vollständig einhalten möchte. Wir haben versucht, die Problematik an die Politik auf Kreis-, Landes- und Bundesebene heranzutragen und bei verschiedenen Treffen Gespräche geführt. […] Leider war alles Bemühen ohne Erfolg. Alle reden von Entbürokratisierung – nur es passiert leider nichts. Daher haben wir uns für die Schließung unseres Betriebes entschieden. Eine erfolgreiche 99-jährige Firmengeschichte endet damit.“ Wir wünschen den Familien Hoff alles erdenklich Gute für die Zukunft!


Dieser Text erschien zuerst in unserer Ausgabe 'Elektro-Installation' Nr. 49-2023 unter dem Titel "Den Betrieb aufgeben: Wenn Handwerksunternehmer die Reißleine ziehen". Weitere Informationen finden Sie hier

Foto Michael Hoff, © Richard Hoff und Söhne GmbH & Co. KG


Verfasst von: Dörte Fleischhauer | Kommentare (0)

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